Panorama Publikumspreis
Auszug aus Joshua Oppenheimers Danksagung für den Panorama Publikumspreis auf der Berlinale 2013
Als ich letzte Woche in Berlin ankam, sagte mein Partner zu mir: Hoffentlich gewinnen wir den Publikumspreis! Ich antwortete: Unmöglich! Publikumspreise gehen immer an „crowd pleaser“. THE ACT OF KILLING ist viel zu dunkel!“ Ich habe sogar gesagt: „Jede Stadt, in der das Publikum einen Preis an einen Film wie THE ACT OF KILLING gibt, ist eine Stadt, in der ich leben will.“
Meine Familie hat einst in Berlin gelebt. Meine Grossmutter ist hier geboren, in Grunewald. Sie entkam gerade noch, bevor es zu spät war. Andere Mitglieder meiner Familie sind nicht entkommen. Es war eine beeindruckende Erfahrung für mich, nach Berlin zurückzukehren, und noch dazu mit einem Film über den Genozid.
Ich bin in einer Familie aufgewachsen in einer Familie, die dem Holocaust entkommen ist. So habe ich früh gelernt, dass es das Ziel aller Moral, aller Politik sein muss, zu verhindern, dass solche Dinge jemals wieder passieren. Nicht nur uns, sondern allen menschlichen Wesen, egal wo. (Der Slogan: „Nie wieder!“ wird all zu oft als „Nie wieder uns!“ interpretiert – mit tragischen Konsequenzen.)
Wenn wir wirklich ernsthaft verhindern wollen, dass sich die Geschichte wiederholt, müssen wir uns der Realität stellen, was wirklich passiert: Menschliche Wesen zerstören andere menschliche Wesen. Die Mörder sind keine Monster. Sie sind Menschen, genau wie wir. Und wir tun uns das gegenseitig an, immer und immer wieder.
Dass jeder Mörder menschlich ist, heißt aber nicht, dass jeder Mensch ein Mörder ist. Die Männer in THE ACT OF KILLING haben tausende Menschen für Macht und Geld umgebracht. Ich hoffe, dass ich so etwas nie tun würde, aber ich weiß, dass ich das extreme Glück habe, es nie herausfinden zu müssen.
Die Tradition des Kinos ist von Filmen dominiert, in denen Gut gegen Böse kämpft, „good guys“ gegen „bad guys“. Aber jedes Mal, wenn wir so eine Geschichte erzählen, täuschen wir uns selbst: die Welt ist nicht unterteilt in gute und schlechte Menschen. Es gibt nichts als Menschen, und manche von uns treffen grauenhafte Entscheidungen. Wenn wir von „Menschen, die Böses tun“ zur Idee „böser Menschen“ springen, denunzieren wir eine komplette Person, ein ganzes Leben. Und wir fühlen uns im Recht dazu, weil wir annehmen, dass wir selbst gut sind. Indem wir andere verurteilen, verlieren wir die schreckliche Realität aus den Augen: dass es nur Menschen gibt, und das Menschen andere Menschen zerstören, immer und immer wieder.
Wenn wir uns aus dieser Realität in eine Fantasie flüchten, in der WIR gut sind, und in der wir, um das Böse zu verhindern, einfach nur die „bad guys“ ausrotten müssen – wie können wir dann je aus der Geschichte lernen und verhindern, dass sie sich wiederholt?
THE ACT OF KILLING mutet dem Publikum zu, sich selbst in Menschen wiederzufinden, die an einem Genozid beteiligt waren. In Berlin hat uns ein Publikum willkommen geheißen, das bereit ist zu akzeptieren, dass die Mörder menschlich sind, allzu menschlich. Die Geschichte hat Deutschland eine Offenheit für THE ACT OF KILLING und seine erschreckende, hoffnungsvolle Botschaft gegeben.
Nach Berlin zurückzukommen, 75 Jahre nachdem meine Großmutter von hier geflohen ist, fühlt sich an, als würde sich ein Kreis schließen. Meine Heimat ist Dänemark, aber ich bin dankbar dass Sie mir, und allen, die in Indonesien für Veränderung kämpfen, die Chance geben haben, unseren Film mit Ihnen zu teilen. Und dankbar, dass Sie ihn mit offenen Armen aufgenommen haben.